Ja, ich hab sie schon mal gesehen, die Frohnlacher Kunstradfahrer. Bei irgendeiner Gala radelten sie fröhlich und beschwingt über die Bühne. Was heißt hier radelten: Zirkelten, kreisten und schwebten sie über selbige. Scheinbar mühelos verknoteten sie sich, fuhren zu viert oder sechst Figuren, die ich nicht mal aufzeichnen könnte und taten unbeschreibliche, überaus harmonische Dinge. Eine echte Augenweide also. Wie viel harte Arbeit hinter solchen Figuren steckt, kann ich nur grob erahnen. Ich, die ich beim Radfahren nicht mal freihändig schaffe. In der Frohnlacher Halle kreisen schon jede Menge Kinder, als ich zum Training komme. Weil ich heute da bin, müssen sie Kunstrad fahren. Ansonsten stehen sie verstärkt auf Einräder. Ich persönlich finde das Kunstrad weitaus sympathischer, weil es immerhin zwei Räder besitzt. Also greife ich mir eins und trampele los.
Ich bin zu Gast beim RSV Solidarität Frohnlach. Der wurde 1924 gegründet und konnte seitdem schon einige Erfolge verbuchen. Besonders, was die Männer betraf, so wurden sie 1993 Deutscher Meister und konnte von 1997 bis 2001 fünf Titel im 6er Kunstradfahren einheimsen. Momentan ist der Verein etwas Frauen lastig, vor allem was die Jugend betrifft. Insofern wird jeder Mann/Junge mit offenen Armen empfangen und kann zudem beim Training noch den Frauenüberschuss auf sich wirken lassen. Kunsträder haben eine Eins-zu-Eins-Übersetzung zwischen Ketten- und Hinterrad. Das heißt, man kann sowohl Vorwärts- als auch Rückwärtsfahren, hat einen schnellen Antrieb und kann abrupt anhalten.
Apropos anhalten. Näheres dazu erfahre ich, als ich gerade an Fahrt zulege. Ist nur ´ne Kleinigkeit: Mein Rad hat keine Bremse. Auf mein angstvolles „Und wie soll ich dann anhalten?“ wird gelassen reagiert. „Langsamer fahren“. Ach so, na klar. Das Wort trampeln trifft das, was ich gerade tue, ziemlich genau. Und ist bei diesem Radtyp ständig nötig. Höre ich auf damit, tut´s auch mein Fahrrad ziemlich bald. Doch viel Zeit zum Nachdenken bleibt mir nicht, denn schon steht Trainerin Anja neben mir. Und die ist voller Tatendrang. Und um das zu beweisen, hebt sie gleich mal mein Vorderrad in die Luft. Das ist ja mal ein ganz neues Gefühl, denke ich, während ich versuche, trotzdem oben zu bleiben. „Meine innere Mitte“ müsse ich finden, meint Anja. Wobei das gar nicht so einfach ist, weil auch das Rad die seine noch nicht gefunden zu haben scheint. Und deshalb nicht wie in Stein gemeißelt in der Luft steht, sondern schwankt und wackelt. Ich empfinde aufrichtiges Mitleid mit Anja, die mich und meinen roten Drahtkumpel vorm Absturz bewahren muss. Und würde ihr gerne helfen, aber wie?
Anja und Silke sind seit 31 Jahren und 36 Jahren als Kunstradfahrerinnen unterwegs. Echte Profis also. Momentan trainieren sie viermal die Woche, weil Meisterschaften anstehen. Bei den Kunstradfahrern wird mittlerweile wird gemischt gefahren. Natürlich gibt es auch mal einen Sturz. Wobei der vom Kunstrad heftiger als vom Einrad sein soll. Was mich betrifft, so denke ich, dass die Wahrscheinlichkeit vom Einrad zu fallen, weitaus höher ist. Bei den Kindern sieht das anders aus. Die können meist von Haus aus Einrad fahren und steigen dann noch zusätzlich aufs Kunstrad. Für die Älteren ist das keine Pflicht, sagt Silvia, und outet sich mal eben als Nicht- Einradfahrerin.
So fühlt sich also ein Steiger an (das Vorderrad ist in der Luft). Ganz außerordentlich, dass muss man sagen. Ich versuche mich selbst in diese Position zu begeben. Oder mich, der Weg ist das Ziel, wenigstens einen Millimeter vom Boden zu lösen. Das klappt. Ich mein, das mit dem Millimeter. Mehr aber auch nicht. Es ist hoffnungslos. Wie sehr ich auch mein Gewicht verlagere und am Lenker reiße. Das Rad will lieber mit dem Boden verbunden sein. Ich ja auch, insofern passt das schon. Ein Jahr kontinuierliches Üben sagt Silke, braucht´s für einen Steiger. Und definiert auch gleich mal, was sie mit kontinuierlich meint: Mindestens zweimal die Woche trainieren. Da bin ich aber froh: Das kann ja gar nicht gehen, was ich hier vorhabe. Mittlerweile wird mir mit dem Trainingspilz gedroht. Der sieht ein bisschen aus wie eine Wäschespinne und soll mir helfen, einen schönen Kreis zu fahren. Auch Rückwärts fahren kann man an ihm üben.
Sobald man sicher Fahrrad fahren kann, ist es möglich beim RSV zu trainieren. Ab zirka sechs Jahren reicht auch meist die Beinlänge aus. Momentan gibt es hier rund 25 aktive Kinder, die alle viel Spaß beim Radeln haben. Und dann bald solche Sachen wie den Zwei-Turbinen Steiger fahren. Das bedeutet drei Mann, der mittlere steht, darf nicht trampeln, wird aber umkreist. Auch sehr nett: die 3er Flügelmühle, die auf Grund der vielen anhängenden Menschen ein wenig an ein Mobile erinnert. Wer nähere Informationen möchte, schaut nach unter : www.rsvfrohnlach.de Da gibt es auch ein paar nette Bilder als Vorlage. Oder schaut gleich zum Training in die Kultur- und Sporthalle in Frohnlach. Das findet immer Mittwochs und Freitags ab 18.00 Uhr statt, die Erwachsenen starten um 19.30 Uhr.
Irgendwie komme ich mit dem Einschlagen nicht so klar. Erinnerungen an erste Fahrstunden und seitlich rückwärts einparken werden wach. Immerhin kann ich je einen! Arm dekorativ zur Seite strecken. Das konnt´ ich zwar schon vorher, aber noch nie mit solcher Grazie und absoluter Körperspannung. Also, wer demnächst eine besonders anmutige Abbiegerin entdeckt, das bin ich. Ein paar Mal stemmen mich die Damen noch zum Steiger, auch das Rückwärtsfahren (mit Festhalten an Anja) ist schon zwei Prozent weniger wacklig. Am liebsten aber fahre ich eine normale Radtour durch die ganze Halle. Wenn ich mich nicht gerade an den Trainingspilz oder Anja klammere. Das wird auf dem Einrad nicht wesentlich besser. Hier brauche ich zwei lebende Stützräder, um „stabil“ (ha ha) zu bleiben. Gut, dass niemand zusieht, wie ich aufs Einrad gehievt werde. Ich schaukele, quieke, konzentriere mich darauf, etwas lautloser zu schwanken, und gebe schließlich auf.
dg